
Weil ich nach Jahren meiner „Wald-und-Wiesen-Schneiderei“ unsere Obstbäume nun richtig schneiden will, besuchte ich am Samstag, 10.1.15, einen Obstbaumschneidekurs. Der Gärtnermeister Wyler hat mit grossem Engagement und Begeisterung das Schneiden von Obstbäumen erklärt. Ich nahm mit Erstaunen zur Kenntnis, dass er seine Bäume nach Grundsätzen erzieht, mit denen man auch die Schüler pädagogisch gut behandelt.
Seine wichtigsten Thesen kurz zusammengefasst:
- Es gibt Dogmen, die schon seit über hundert Jahren angewendet werden, aber trotzdem falsch sind. Beispielsweise das Wegschneiden von Wassertrieben.
- Beweglichkeit, keine blinde Befolgung starrer Strukturen und eigene Erfahrung sind die Lehrmeister bei Regeln, welche die Entwicklungsgesetze der Pflanze beachten.
- Es gibt Gesetze bei der Entwicklung von Pflanzen, denen man mit grosser Erfahrung und stetiger Korrektur gerecht werden kann. Es ist also nicht «Geschmackssache» wie man Obstbäume durch Schneiden und Binden erzieht.
- Allgemeine Ratschläge sind zwar richtig, aber zu ungenau, um mit ihnen einen bestimmten Baum gut zu erziehen. Nur bei individuellem Betrachten in natura kann man wirksame Ratschläge geben.
- Durch genaues Beobachten des eigenen Baumes wird man zum Experten für den eigenen Baum. Die Technik (Fotos) kann eine Hilfe sein.
- Durch stetige Beobachtung und Eingriffe erzieht man am besten. Im Februar und Juni entsprechend schneiden.
- Langdauernde Freude an den blühenden Ästen durch Einstellen in eine Vase haben.
- Die Erziehung der Obstbäume wird meistens falsch gemacht. Auch viele Gärtner üben ihr Handwerk nicht gut aus.
Bei einem Spaziergang bestätigte sich die letzte These. Die meisten jungen und auch alten Obstbäume waren nicht gut geschnitten und nicht entsprechend den Gesetzen des Pflanzenwachstums erzogen.
Als Pädagoge erlebte ich, dass alle Punkte, die der Gärtnermeister erwähnte, auch bei der Erziehung des Menschen wichtig sind. Nur ist der Mensch ein beseeltes Wesen, das noch zusätzlich einen geistigen, individuellen Kern besitzt. Dies muss bei der Erziehung auch noch berücksichtigt werden.
Die Erziehung bei Pflanzen, Tieren und Menschen
Die Obstbäume und alle Pflanzen sind Lebewesen und wachsen, indem die Gesetze des Lebens zur Geltung kommen. Ausserdem wirken auch die physikalischen Gesetze, die den leblosen Formen zugrunde liegen.
Tiere sind zusätzlich beseelt. Sie empfinden z. B. Freude und Schmerzen.
Der Mensch ist nicht nur ein lebendes Wesen, sondern auch ein seelisches und geistiges Wesen. Er hat auch noch einen individuellen Kern, der als Keim vorhanden ist.
Bei Pflanzen wir von Erziehung gesprochen, indem man mit Schneiden und Binden eingreift. Eine gute Beobachtung und viele Kenntnisse, d. h. eine lange Erfahrung, lassen uns gut erziehen.
Bei Tieren spricht man auch von Erziehung, meint aber die Dressur der Tiere. Mit rhythmisch wiederkehrenden Regeln (z. B. das Ritual des Fütterns), mit Konsequenz, die einen grossen Willenseinsatz verlangt, und viel Verständnis für Tiere erreicht man am meisten.
Menschen erzieht man zu Beginn am besten durch ein authentisches, gutes Vorbild, danach durch eine menschengemässe Pädagogik. Als Erwachsener geht die Erziehung nur als Selbsterziehung weiter. Wenn der Mensch nicht will, ist seine Erziehung schon bald abgeschlossen. Er handelt nach Vorgaben, die Andere in der Vergangenheit bewusst oder unbewusst bestimmt haben. Seine Entwicklung bleibt stehen. Eigentlich sollte man beim Menschen nicht von Erziehung sprechen, weil das Wort „Ziehen“ im Begriff steckt. Der Mensch sollte nicht nur gezogen werden, sondern ein Umfeld haben, in dem er sich entwickeln kann. In diesem Umfeld wird sein Kern altersgemäss angesprochen.
Es wird die Basis gelegt, um eine lebenslange Selbstentwicklung möglich zu machen.
Die Schule
Die Schule sollte ein Ort werden, wo der Mensch nicht negativ geprägt wird, wie es heute meistens ohne bösen Willen geschieht. In der Schule sollte die Potenzialentwicklung jedes Menschen gezielt und mit Bewusstsein gefördert werden. Dazu müssen sich die Lehrer permanent entwickeln wollen und eine Schule wählen können, die dies möglich macht.
Erst dann sind die Voraussetzungen zur Potenzialentwicklung der Schüler gegeben.